Mittelalterliche Belagerungs- und Kriegsmaschinen

Im Jahre 1288 wurde die bei Hohenlimburg liegende Raffenburg von Graf Eberhard von der Mark über einen längeren Zeitraum belagert und schließlich zerstört. Der Chronist der Grafen von der Mark, Levold von Northof, berichtet in seiner Chronik darüber, daß der Kampf hart und langwierig gewesen sei. Es seien mehrere Sturmangriffe versucht worden und auch Belagerungswerkzeuge und Wurfmaschinen eingesetzt worden. Erst durch Wassermangel sei die Burg dann schließlich gefallen.1
Was für Levold von Northof offensichtlich völlig normal ist, so daß er keine weiteren erklärenden Worte dazu abgibt, ist der Einsatz von Belagerungswerkzeugen und Wurfmaschinen. Doch wie genau sahen die im Mittelalter verwendeten Kriegsmaschinen aus? Durch Film und Fernsehen haben wir zwar alle eine gewisse Vorstellung von den damals benutzten Belagerungswerkzeugen, doch sind diese nicht immer richtig. Im Folgenden soll nun versucht werden, einen Abriß über die wesentlichen Kriegsmaschinen und Belagerungswerkzeuge zu geben, die im Mittelalter vor der Einführung der Pulvergeschütze benutzt wurden.
Wie bei vielen mittelalterlichen Gebrauchsgegenständen hatten auch die Kriegsmaschinen antike Vorbilder.
Die ersten Katapulte in Europa wurden um 400 v. Chr. in der griechischen Stadt Syracus auf Sizilien erfunden. Diese Waffe, eine Art mechanische Armbrust (gr. Gastraphetes), bestand aus einem starken Kompositbogen, d.h. einem Bogen, der aus mehreren Teilen zusammengesetzt war. Um die Waffe zu spannen, schob man den Bauch in das halbmondförmige Endstück und drückte mit aller Kraft nach unten. So konnte deutlich mehr Energie aufgebracht werden, als ein herkömmlicher Bogenschütze zu leisten vermochte. Die militärische Leistungsfähigkeit dieser Waffe beeindruckte die griechischen Techniker so sehr, daß sie eine größere Gastraphetes konstruierten, die auf eine Lafette gesetzt wurde und mit Winden gespannt werden mußte. Da eine Vergrößerung dieser Waffe auf Grenzen stieß, wurden im 4. Jahrhundert v. Chr. statt der Kompositbögen Torsionsfedern zum Antrieb der Waffen eingeführt. Diese Torsionsfedern bestanden aus vorgespannten, elastischen Seilbündeln, die aus Roßhaar oder Tiersehnen gefertigt wurden.
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Der neue Katapulttyp, das Euthytonon, ein leichtes Pfeilgeschütz, wurde mit zwei Torsionsfedern versehen. An jedem Ende einer Torsionsfeder befand sich eine bronzene Spannbüchse. Diese hielt quer über ihrer Öffnung einen eisernen Bolzen, um den die elastischen Seile der Torsionsfeder gewickelt wurde. Schon bald verdrängte dieser in der Mitte des 4. Jahrhunderts erfundene Katapulttyp die Waffen der Gastraphetes-Bauart. Bereits Alexander der Große setzte diese neuen Waffen bei seinen Feldzügen ein.
Neben diesem leichten Pfeilgeschütz wurde noch ein schwerer Steinwerfer, der Palintonon, eingesetzt. Der ausgereifte Typ dieser Waffe entstand nach mehreren Schritten einer längeren Entwicklung im Verlauf der 3. Jahrhunderts v. Chr.. Der Palintonon, dessen lateinische Bezeichnung ballista war, war in der Lage, schwere Steinkugeln mit einem Gewicht von 13 kg zu verschießen. Die gesamte Waffe wog ca. 3000 kg., konnte allerdings in seine Hauptbestandteile zerlegt werden. Dies war für den Transport unerläßlich.
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Im 3. Jahrhundert v. Chr. wurden diese beiden Katapulttypen standardisiert, die Beschreibungen und Baubeschreibungen in den damals entstandenen technischen Zeichnungen festgehalten. Schwere Waffen beider Typen wurden auch wenig später von den antiken Großmächten Rom und Karthago übernommen. Diese Katapulttypen blieben bis zum Ende der römischen Antike im Gebrauch. In spätrömischer Zeit wurde noch ein weiteres Katapult entwickelt, der Onager, ein einarmiges Torsionskatapult für schwere Steine. Der Onager hatte eine horizontal angeordnete Torsionsfeder und stellte eine Mechanisierung der Stabschleuder dar.
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Neben den bereits erwähnten Katapulttypen wurden bei Belagerungen noch Sturmdächer, Sturmschirme und Mauerbrecher, vor allem die sogenannten Widder, benutzt. Die Sturmschirme waren Schutzwände aus Brettern auf Blockrädern, die zur Sicherung der Angriffsschützen Verwendung fanden. Die Sturmdächer, auch Katzen genannt, sollten hingegen für Deckung beim Ausheben von Gräben und beim Brechen der Mauern sorgen. Zum eigentlichen Brechen von Mauern und Toren wurde noch der Widder benutzt, im wesentlichen ein Holzstamm, der mit einer metallenen Spitze, oft einem Widderkopf, daher der Name, versehen war. Neben diesen Waffen kannte man auch sogenannte Wandeltürme, große hölzerne Belagerungstürme auf Rollen, die bis an die Mauer geschoben wurden und von denen aus man diese leichter stürmen konnte.
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Nach dem Ende des Römischen Reiches kam es zu einer Stagnation in der Katapulttechnik. Neue Waffen wurden im frühen Mittelalter nicht erfunden, statt dessen wurden die alten griechisch-römischen Kriegsmaschinen weiter verwendet. So wurden im Jahre 886 bei der Belagerung von Paris durch die Normannen von zeitgenössischen Quellen die Verwendung von Katapulten und Ballisten erwähnt. Weiterhin wurde bei der Belagerung von Verdun im Jahre 984 ein 40 Fuß hoher Wandelturm benutzt.
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Im weiteren Verlauf des Mittelalters bis zum 11. Jahrhundert ging allerdings die Kunst der Belagerung immer weiter zurück. Die Überlieferungen der Antike gerieten immer mehr in Vergessenheit, zudem fehlte es für den Bau von Belagerungsmaschinen an geeigneten Mustern.
Einen neuen Aufschwung brachten erst wieder die Kreuzzüge, da sich diese Zeit durch besonders häufige Belagerungen auszeichnete. Zudem konnten so die Europäer von dem Wissen der Byzantiner und Araber profitieren.
Zu den grundlegenden Werkzeugen der Belagerungstechnik gehörten die Sturmleitern. Diese Leitern waren zwischen 36 und 40 Fuß hoch und am oberen Ende mit Rollen versehen, um so an den Mauern besser fortzugleiten.
Um die Mauern zum Einsturz zu bringen, grub man sogenannte Minenstollen unter diese, füllte sie mit brennbarem Holz und zündete dies an. Sobald die hölzernen Stützbalken verbrannt waren, stürzte der Stollen ein und ließ somit die darüber liegenden Mauer ebenfalls einstürzen.
Um die Mauern oberirdisch zu zerstören, nutzte man den bereits in der Antike verwendeten Mauerbrecher. Dieser bestand in den meisten Fällen aus einem fahrbaren Schutzhaus, unter dessen Firstbalken ein mit Stricken waagerecht angehängter Balken mit einem eisenbeschlagenen Kopf hing. Mit diesem Kopf wurden die Mauersteine zertrümmert.
Als Abwehrwaffe gegen den Widder wurde der sogenannte "Wolf" eingesetzt. Der "Wolf" bestand aus einem krummen, mit Zähnen ausgezacktem Eisen, das an Stricken die Mauer heruntergelassen wurde und den Kopf des Widders packen sollte. Dieser konnte dann die Mauer hochgezogen werden. Diese Abwehrwaffe war jedoch nur solange einsetzbar, solange der "Widder" ohne Schutzhaus gegen die Mauer oder das Tor vorrückte.
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Die bereits erwähnten Wandeltürme, auch Ebenhoch genannt, waren zwischen 30 und 100 Fuß hoch und mit Fallbrücken versehen. Auf dem obersten Stockwerk des Turmes befand sich eine Plattform, von der aus Bogenschützen den Angriff unterstützen konnten. Manchmal waren die Wandeltürme auch am unteren Ende mit einem Widder versehen und hatten so große Plattformen, daß dort ein Katapult Platz fand.
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Neben diesen Waffen für den Nahkampf hatten die Ferngeschütze eine große Bedeutung. Diese waren zunächst Nachbauten der antiken Vorbilder. Problematisch ist in diesem Fall allerdings, daß die überlieferten Abbildungen und Beschreibungen zum Teil sehr unklar und oberflächlich sind. Erschwerend kommt hinzu, daß die Bezeichnung der einzelnen Wurfgeschütze sehr vielfältig und nicht einheitlich ist.
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Der mit Torsionsfedern aus Seilen versehene Onager, der schon in spätrömischer Zeit benutzt wurde, wurde während des gesamten Mittelalters bis zur Erfindung der Pulvergeschütze benutzt. Beim Onager beruhte die Antriebskraft auf der Kraft, mit welcher zwei durch einen dazwischen gesteckten Knebel umeinander gedrehte Seile diese Drehung rückgängig zu machen streben. 10 Der mittelalterliche Onager erreichte allerdings nicht mehr die gleichen Weiten wie die spätantiken Vorbilder, da das Mittelalter nicht mehr die Kenntnisse hatte, die Spannung der Torsionsfedern zu erhalten.

Auf einem etwas anderen Prinzip beruhte das mittelalterliche Katapult, das seine treibende Kraft aus einem mit einer Sehne gespannten Bogen erhielt. Das Katapult verschoß sowohl Pfeile wie auch Steine. Der Unterschied zu den antiken Vorbildern lag darin, daß der Bogen nun aus einem Stück bestand und nicht mehr aus zwei getrennten Armen.
Ein Problem, welches hier besonders stark auftritt, ist das der Bezeichnung. Zudem gibt es Unsicherheiten über das genaue Aussehen. Gemeinsam hatten diese Wurfmaschinen offenbar einen Bogen, eine Sehne und eine Geschossrinne wie eine Armbrust und dazu ein festes, waagerecht oder schräg aufwärts gerichtetes Untergestellt. Die mittelalterlichen Quellen sprechen hier von Mange, Mangonellus, Balliste, Tarantel und Skorpion. Die Bogensehne wurde durch eine Schraube oder einen Haspel angezogen.
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Zu diesen Waffen gehören noch mehrere Arten von großen Armbrüsten. Neben den einfachen Handarmbrüsten gab es zum einen die Wind- oder Turmarmbrust, die auch Karrenarmbrust genannt wurde, wenn sie auf einem solchen Karren, vergleichbar mit den heutigen Lafetten, transportiert wurde. Zum anderen gab es die Ruck- oder zweifüßige Armbrust, die später auch Wipparmbrust genannt wurde. Die Bezeichnung "zweifüßige Armbrust" erklärt sich dadurch, weil der Schütze zum Spannen beide Füße in die am Kopf der Waffe angebrachten Bügel stemmen mußte. 12

Eine ebenfalls benutzte Katapultart war die Rutte. Ihr Prinzip beruhte auf einem direkten Schlag einer in ihre gerade Lage zurückschnellenden Feder, die den auf einer vertikalen Unterlage liegenden Pfeil antrieb. 13

Während der Kreuzzüge lernten die Kreuzfahrer dann eine neue Katapultart kennen, die nicht auf römisch-griechischen Vorbildern beruhte, der Triboc oder frz. Trebuchet. Das Trebuchet scheint sich aus dem mit Gegengewichten versehenen ägyptischen Ziehbrunnen-Baum (arab. Shaduf) entwickelt zu haben. Die Maschine besteht aus einem ungleichen Hebearm. Am kürzeren Arm befindet sich ein Gewicht, am längeren Arm eine Schlaufe oder Eimer. Befestigt man nun einen schweren Gegenstand am kürzeren Ende, erreicht man durch den schnellen Fall, daß der Inhalt des Eimers oder der Schlaufe weggeschleudert wird. 14
Katapulte diesen Typs verbreiteten sich sehr schnell in Europa. Im Jahre 1147 beispielsweise wurden beim Angriff der Kreuzfahrer auf Lissabon mehrere Trebuchets eingesetzt.
In Deutschland setzte Kaiser Otto IV. bei der Belagerung von Weissensee in Thüringen erstmalig ein Trebuchet ein. Diese bis dahin in Deutschland völlig unbekannte Waffe sorgte für großes Entsetzen und bewog einen Thüringer Chronisten dazu, das Trebuchet als "teuflisches Werkzeug" zu bezeichnen. Bei Ausgrabungen wurden vier Geschosse des dort eingesetzten Trebuchets gefunden, jeweils 100 kg schwere Steinkugeln
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Es stellt sich nun die Frage nach der Flugweite und der Treffsicherheit der mittelalterlichen Wurfgeschütze. Beim Trebuchet hat es eine Reihe von Nachbauten gegeben, die einen Einblick in diese Frage ermöglichen. Laut Reid kann bei einem 15 Meter langen Arm und einem Gegengewicht von 10 Tonnen von einem Trebuchet eine 90 - 135 kg. schwere Steinkugel bis zu 275 Meter weit geschleudert werden.
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Auf der Runneburg in Thüringen wurde das vermutlich weltweit größte und funktionsfähige Trebuchet rekonstruiert. Die Kriegsmaschine ist 18 Meter hoch und wiegt 30 Tonnen. Mit einem Gegengewicht von 4,5 Tonnen und einem zwölf Meter langen Wurfseil ist sie in der Lage, bis zu 100 Kilogramm schwere Steinkugeln zu verschießen. Das Geschoß bekommt beim Abschuß eine Geschwindigkeit von bis zu 200 km/h und fliegt knappe 300 Meter. Die maximale Reichweite liegt bei 500 Metern. Auch die Treffsicherheit ist überraschend gut. Bei den auf der Runneburg gemachten Testschüssen lag die maximale Zielabweichung bei lediglich sechs Metern.
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Auch die Treffsicherheit der anderen benutzten Katapulte muß laut Piper recht hoch gewesen sein.
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Die Frage, welche Geschosse im Mittelalter benutzt wurden, läßt sich aufgrund zahlreicher archäologischer Funde und zeitgenössischer Quellen recht gut klären.
Die großen Armbrüste verschossen bis zu 6 Fuß lange eisenbeschlagene Holzbolzen oder Steine, bei den Wurfmaschinen waren die kleinsten Geschosse faustgroß, während die größten bis zu 12 Zentner wogen.
Die Steine waren, so zumindest Piper, in der Regel nicht sorgfältig behauen. Diese Mühe und der damit verbundene Zeitaufwand würde sich nicht lohnen, zumal erfordere die Art der Wurfmaschinen dies auch nicht.
19 Dennoch gibt es eine Reihe von Funden, die dieser Annahme widersprechen. Im Hohenlimburger Schloß befinden sich zwei sorgfältig behauene Schleudersteine, auch auf der Runneburg in Thüringen sind die gefundenen Katapultsteine behauen.
Der Grund dafür könnte sein, daß das bereits angesprochene Trebuchet eine höhere Wirkung und größere Reichweite mit rund behauenen Steinen hatte. Die Schußversuche in Thüringen belegen zumindest diese These.
Neben den bereits erwähnten Steinkugeln wurden auch andere Dinge geschleudert, so zum Beispiel mit Nägel beschlagene Balken, Leichen, Totes Vieh, mit Menschenkot gefüllte Fässer, Bienenstöcke oder auch lebende Gefangene.
Auch feuerbringende Geschosse wurden benutzt. Man verschoß rotglühend gemachte eiserne Kugeln, mit Öl gefüllte Fässer oder setzte das gefürchtete griechische Feuer ein.
Bei Marcus Graecus findet sich ein Rezept für das Griechische Feuer. Man mußte Schwefel, Weinstein, Baumharz, Pech, Kochsalz, Erd- und Baumöl gut miteinander verkochen. Dann wurde Werg damit getränkt und angezündet. Die besondere Wirkung des griechischen Feuers lag darin, daß es mit einfachem Wasser nicht zu löschen war. Lediglich mit Harn, Weinessig oder Sand konnte es bekämpft werden.
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Welche dieser angesprochenen Wurfmaschinen nun tatsächlich von Grafen Eberhard von der Mark eingesetzt wurden, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Levold von Northof berichtet nur über eingesetzte Maschinen, macht aber keine genaueren Angaben.
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In jedem Fall waren die im Mittelalter benutzten Katapulte furchterregende Waffen, über deren Wirkung man selbst heute nur staunen kann.

1 TROSS, Carl Ludwig Philipp (Hrsg.): Levold`s von Northof Chronik der Grafen von der Mark, Hamm 1859, S. 112
2 Baatz, D.: Katapulte im griechisch-römischen Altertum, nternetdokument
Version vom 20.02.1999 (letzm. aufgerufen am 07.05.99)
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Demmin, August: Die Kriegswaffen in ihrer geschichtlichen Entwicklung von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Hildesheim 1964, Reprint der Ausgabe von 1893, S. 846-847
6 Piper, Otto: Burgenkunde, neue, verbesserte u. erweiterte Auflage, Augsburg 1994, S. 380
7 Ebd. S. 393
8 Ebd. S. 382-384
9 Ebd. S. 385
10 Ebd. S. 386
11 Ebd. S. 388
12 Ebd. S. 388
13 Piper: Burgenkunde, S. 388
14 Reid, William: Buch der Waffen - Von der Steinzeit bis zur Gegenwart, Düsseldorf/ Wien 1976, S. 39
15 Ohne Namen: Die Geschichte und Baugeschichte der Runneburg, Internetdokument:
(letztmalig aufgerufen: 7.5.99)
16 Reid: Buch der Waffen, S. 39
17 Leben im Mittelalter: Grimmes Geschoß; Internetdokument:
(letztmalig aufgerufen: 7.05.99)
18 Piper: Burgenkunde, S. 395
19 Ebd. S. 395-396
20 Ebd. S. 396-397
21 Tross: Levold, S. 112