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Torsionsgeschütze

Um 400 v.Chr. wurde während der Vorbereitungen für den Krieg des älteren Dionysios von Syrakus gegen Karthago die Torsionstechnik erfunden. Dabei machte man sich die Spannkraft zu Nutze, die entsteht, wenn Sehnenbündel gedreht wurden. Natürlich wurden diese Geschütze nicht plötzlich erfunden, sondern es gab einige Vorläufer, die diese Technik bereits anwandten.

Der erste Schritt zum Geschütz war die Weiterentwicklung des Handbogens. Um grössere Reichweiten zu erreichen und um grössere Kaliber zu verschiessen, fertigte man Bögen aus Metall, die jedoch nicht mehr von einem Mann mit der Hand alleine gespannt werden konnten.

Die daraus resultierende Waffe hiess gastraphetes (grch. Bauchgewehr). Dabei handelte es sich um einen auf einem Stock befestigten Kompositbogen. Die Spannung des Bogens konnte nicht mehr per Hand gemacht werden, sodass man hierfür die Waffe auf den Boden richtete und sich mit dem Bauch dagegenstemmte. Um dies zu ermöglichen, hatte der Stock am hinteren Ende eine entsprechende Vorrichtung. Durch das Gewicht, war die Waffe zu unhandlich, um von einer Person im Stand abgefeuert zu werden. Somit dürfte sie auf Verschanzungen oder eigenen Stützen gelegt worden sein (vgl. die Stützen für die ersten Musketen im 17.Jh.). Wollte man feuern, musste man nur einen kleinen Hebel bewegen.

Diese sehr kräfteraubende Vorrichtung wurde bald verbessert. Man erfand eine Konstruktion mit Zahnstange, die es ermöglichte durch Drehung den Bogen zu spannen. Nun konnten Kaliber und Bogenspannweite erneut vergrössert werden und man setzte es auf einen Unterbau (über dessen Aussehen sich die Wissenschaftler übrigens ganz und gar nicht einig sind). Der Poliorketiker Biton überlieferte Spannweiten bis 2,8 m. Diese Pfeilgeschütze erwiesen sich im Feld als nicht sehr effektiv und läuteten deshalb um 350 v.Chr. die Erfindung des Torsionsgeschützes ein. Ein Einsatzgebiet blieben Befestigungsanlagen und es scheint, als dass in Griechenland Festungstürme auch für den Einsatz von Pfeilgeschützen gebaut wurden.

Aus Sicht der Poliorketiker sind zwei Arten der Torsionsartillerie zu unterscheiden: catapulta (grch. eythytonon; Flachfeuergeschütz, vor allem für Pfeile und Bolzen und deshalb gerne scorpio (Skorpion) genannt) und ballista (grch. palintonon; Seilfeuergeschütz, für Pfeile, Steine und Tonwaren). Obwohl beide Systeme nach den gleichen Grundsätzen konstruiert wurden, gab es beträchtliche Unterschiede. Pfeilgeschütze hatten einen plinthion (Rahmen), Wurfgeschütze zwei. Auch andere Hauptbestandteile waren anders. Pfeilgeschütze hatten eine syrinx (Pfeife), Wurfgeschütze eine klimax (Leiter). Erstere ruhten auf einem Dreifuss mit Drehknopf am oberen Ende, letztere standen auf zwei Ständern mit Schwellen, Streben und Riegeln. Je grösser das Kaliber, desto fester waren bei Wurfgeschossen diese Ständer miteinander verbunden.

Alle Maschinen bestanden aus einem hölzernen Rahmen, an dessen Ecken mittels eines Sehnenspanners in einem Spannkasten je ein Paar gewundene Sehnenstränge befestigt waren. Aus jedem Strang ragte ein Bogenarm hervor, der mittels eines Seils mit der Haltevorrichtung für das Geschoss verbunden war. Heron entwickelte eine Formel, wonach die Grösse der einzelnen Geschützteile in Relation zum Durchmesser der Sehnenspanner gefertigt werden konnten.

Bei Wurfgeschossen wurde das Kaliber nach einer Formel nach dem Gewicht in Minen berechnet. Sie lautete: 1,1 x Kubikwurzel aus 100 Kugelgewichten. Rechenbeispiel: Kaliber für eine 10-Minen-Kugel (=4,4 kg): 1,1 x Kubikwurzel aus (100 x 10) ergibt 11 Fingerbreit = 21,2 cm. Das Kaliber der Pfeile war im allgemeinen der neunte Teil der Pfeillänge. Aus all diesen Zahlen und dem Durchmesser der Sehnenspanner (in der Regel die einzigen archäologisch fassbaren Reste von Geschützen) lässt sich heute noch die Grösse der Geschütze errechnen. Aufgrund des dieses Befundes kann man bei den Steinwerfern die beliebtesten Kaliber bzw. Gewichte ermitteln: 10, 15, 20, 25 und 30 Minen. Bei Grossgewichten bestand eine Häufung bei 60 Minen. Neben Pfeilen, Bolzen und Steinen kamen auch Balken und Tonwaren zum Einsatz. Letztere konnten mit Pech, Kieseln oder anderem Streumaterial gefüllt werden. Auch Brandsätze waren damit zu verschiessen.

Bis sich die Torsionsgeschütze im griechischen Kernland ausbreiteten, dauerte es etwas. In Athen wurden sie erstmals 355 v.Chr. als Inventarbestand erwähnt und verpflichtende Übungen gab es seit ca. 330 v.Chr. Danach nahmen sie raschen Aufschwung und die Konstruktion wurde in den Diadochenkriegen vervollkommnet.

Um 280 v.Chr. erreichte der Torsionsgeschützbau eine überraschende Standardisierung. Die metallbeschlagene Geschützkonstruktion aus Holz blieb für Grossgeschütze während der ganzen Antike beinahe gleich. Philon von Byzanz beschäftigte sich intensiv mit dem Geschützbau und wurde dabei von den Ptolemäern in Alexandria tatkräftig unterstützt. Später vervollkommnete noch Ktesibios das Wissen, sodass sich die Autoren der römischen Kaiserzeit gerne auf diese beiden Poliorketiker beriefen.

Ihre Treffsicherheit war erstaunlich. Auf 50 Doppelschritte (ca. 75 m) konnte ein guter Schütze einen Mann mit einem gezielten Schuss töten und bis 100 Doppelschritte (ca. 150 m) waren Gruppen noch effektiv zu bekämpfen. Bei einem maximalen Winkel von 45° und einer Reichweite von gut 250 Doppelschritten (ca. 370 m) gab es keine Treffsicherheit mehr und auch die Durchschlagskraft liess zu wünschen übrig. Allerdings konnte man damit immer noch einen Wagen ausser Gefecht setzen.

Die ersten Torsionsgeschütze verschossen ausschliesslich Pfeile. Erst in der Zeit Alexanders des Grossen wurden sie zu Steinwerfern weiterentwickelt und kamen bei Belagerungen zum Einsatz. Damit konnte man kleinere Steine hinter die Mauern werfen. Bereits 30 Jahre später konnte Demetrios Poliorketes Kaliber von 3 Talenten (= 78 kg) verwenden. Um das Jahr 100 n.Chr. wurden die steinschleudernden Torsionsgeschütze von Tacitus zum letzten Mal literarisch erwähnt und auch auf der Trajanssäule sucht man sie vergeblich. In untergeordneter Rolle und mit leichten Änderungen   (Bogenarme innen statt aussen!) scheinen sie allerdings zumindest bis in das 3.Jh.n.Chr. in Verwendung gestanden haben, denn aus dieser Zeit gibt es römische Funde vor der Wüstenfestung Hatra.

links: rekonstruierte 2-½-Minen-Balliste (c) Ermine Street Guard
rechts: 2002 rekonstruierte 1-Talent-Balliste 
(c) Alan Wilkins

Der Einsatz von Torsionsgeschützen in der Schlacht blieb dennoch hinter den Leistungen (weitaus besser als Bogenschützen und Speerwerfer) zurück. Geschütze mussten meist zerlegt und transportiert werden. Die Sehnen nutzten sich rasch ab und da eine Reparatur während eines Gefechts gefährlich war, benutzte man im Sinne eines Baukastensystems fertige Reserverahmen. Zum vermehrten Einsatz kamen Torsionsgeschütze hingegen bei Belagerungen, sowohl bei Angreifern, als auch Verteidigern. Letztere konnten hinter den Verschanzungen problemlos die Geschütze in Schuss halten.

In hellenistischer Zeit wurde nur bestes Material für die neyra oder nervii (Sehnen; meist Tiersehnen, aber auch Frauen- und Rosshaar, sowie Seide; keine Schweinesehnen) verwendet, das die bestmögliche Reichweite ermöglichte. Die Römer mussten anfangs diese Sehnen aus Griechenland importieren. Man begannen allerdings rasch Torsionsgeschütze industriell in Massenproduktion herzustellen. Dadurch liess die Qualität der einzelnen Stücke merkbar nach. Allerdings wurde dieser Umstand durch den nun möglichen Masseneinsatz mehr als aufgewogen (vgl. Gewehr - Maschinengewehr). Zur Not konnte man sich auch mit einem Festerziehen der Sehnenspanner behelfen.

links: ballista inmitten hölzerner Verschanzungen; Relief Trajanssäule
(c) Legio XV Apollinaris
rechts: rekonstruierte cheiroballista
(c) Legio XV Apollinaris

Um das Jahr 100 n.Chr. kam es nochmals zu einer Verbesserung der Geschützkonstruktionen, vor allem für die kleinen mobilen Einheiten. Die metallbeschlagene rechteckige Holzkonstruktion an der Vorderseite wurde nun in reiner Eisenbauweise hergestellt und ab nun auch einheitlich als ballista bezeichnet (obwohl es immer noch catapultae waren). Wer der Urheber dieser Neuerung war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Der öfters kolportierte Pseudo-Heron aus Alexandria der neronischen Zeit kommt nicht in Frage, obwohl er eine Schrift über ein Handgeschütz (grch. cheiroballistra, lat. manuballista) verfasst hatte. Dieses hatte allerdings seinen Angaben zufolge nur eine Länge von 1 m.

Derart kleine "echte Handgeschütze" sind in der Antike nicht für den Masseneinsatz gebaut worden. Diese Vorläufer der Armbrust wurden entweder von Scharfschützen benutzt oder kamen bei Polizeiaktionen zum Einsatz, wo es darauf ankam schnell einen Schuss abzugeben (z.B. auf Flüchtende bei spätantiken Rekrutierungsaktionen). Die mittelalterliche Armbrust blieb übrigens bis ins 16.Jh.n.Chr. auch den Feuerwaffen in Entfernung und Durchschlagskraft überlegen.

links: Frontplatte eines Geschützes der legio IV Mac. von 45 n.Chr. (c) D.Baatz
rechts: Amor nutzt Artillerie für seine Liebespfeile...
(c) Dt.Arch.Inst Rom

Es gab nicht nur zweiarmige Torsionsgeschütze. Der onager (grch. monagkon; Wildesel) war eine einarmige Version für mittlere und grössere Kaliber, die bereits die Griechen einsetzten. Der Sehnenstrang lag waagrecht und es gab einen einzigen massiven Wurfarm mit einer daran befestigten Wurfschlinge. In Ruhestellung lag der Neigungswinkel bei 60°, angespannt bei ca. 30°. Um den Wurfarm abzufedern benötigte die Konstruktion vorne eine starke Polsterung (sägespangefüllte Säcke, die mit starken Tauen verstärkt und vor einem festen Block angebracht waren). Der onager ist das einzige grosskalibrige Torsionsgeschütz, das auch in der Spätantike nennenswert verbreitet war.

Schon zu Zeiten des Milizheeres wurde in der römischen Armee stellenweise Artillerie verwendet. Mit der Ablösung der Manipular- durch die Kohortentaktik, gelang der Feldartillerie endgültig der Durchbruch. Im Gegensatz zu ihren Gegnern im hellenistischen Osten, bildeten die Römer keine eigenen Artillerietruppen aus, sondern reihten sie in die Infanterie ein. Die genaue Zahl der Geschütze pro Legion ist unbekannt. Vermutlich unter Augustus bekam jede Zenturie einen scorpio zugeteilt (Möglicherweise auch noch eine Balliste). Im Laufe des 1.Jh.n.Chr. kamen die auf Wagen montierten carroballistae für den Verteidigungskampf (z.B. auf Lagerwällen) auf. Zu Trajans Zeiten verfügte jede Kohorte über ein schweres Torsionsgeschütz und jede Zenturie über die erwähnte carroballista.

Im 4.Jh.n.Chr. schrieb Vegetius einer Legion (keine 6000 Mann mehr!) 55 corroballistae und 10 onageri zu. Während dieser Zeit wurden diese Kriegsmaschinen auch in Feldschlachten sehr häufig eingesetzt. Eine carroballista wurde von Eseln gezogen, ein onager von Ochsen. Die Bedeutungen von Balliste und Katapult hatten sich indes vertauscht. Die anderen Wurfgeschütze scheinen in der Spätantike nicht mehr zum Einsatz gekommen zu sein.

Die Poliorketiker entwickelten auch noch einige andere Geschütze, als die bereits erwähnten. Sie kamen offensichtlich nicht zur praktischen Anwendung, da Philon von Alexandria sie allesamt den tatsächlich verwendeten gegenüberstellte. Philon selbst entwickelte das durch einen Keil gespannte Pfeilgeschütz; Ktesibios das aerotonon (Luftgeschütz) und chalkotonon (Erzspanngeschütz; vielleicht mit einer Metallfeder als Wurfantrieb) und Dionysios von Alexandria das katapeltes polybolos (Mehrladergeschütz). Wie sie aussahen, konkret funktionierten und ob sie jemals wirklich zum Einsatz kamen ist unbekannt.

Neben den angerichteten Schäden darf auch die moralische Komponente nicht ausser Acht gelassen werden. Besonders im Einsatz gegen die Barbarenstämme aus dem Norden erwiesen sich Geschütze als wertvoll. Selbst disziplinierte Truppen hatten manchmal mit einem unerwiderbaren Beschuss aus der Ferne Probleme die Formation zu halten. Der Abschuss eines Torsionsgeschützes verursacht zudem ein charakteristisches Geräusch, das bei massenhafter Anwendung noch mehr demoralisierend wirkt. Mit dem Verschwinden dieser Feldartillerie im Frühmittelalter gab es bis in die Zeit der Massenproduktion von Gewehren keine vergleichbare Waffengattung mit ähnlicher Wirkung.

Bronzekopf eines in Olympia gefundenen Rammbockes
(ca. 5.Jh.v.Chr.)
Der Balken dazu
war 22 cm hoch
und 8 cm breit.

(c) Deutsches Archäologisches
 Institut, Athen


Quellen: "Der kleine Pauly"; Duncan B.Campbell, Brian Delf "Greek and Roman Siege Machinery 399 BC-AD 363"; Duncan B.Campbell, Brian Delf "Greek and Roman Artillery 399 BC-AD 363"; Marcus Junkelmann "Die Legionen des Augustus", Karl Strobel "Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans"

 

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(PL)